Von der Germanistik zur Analytik – oder: Warum die Bewerberauswahl auch Employer Branding ist

“Und, hast Du schon einen Studienplatz? Ist ja nicht so schwer für Geisteswissenschaften, oder?” – Ich erinnere mich sehr gut an diesen einen Tag vor 12 Jahren, an dem ich diesen Satz von meinem ehemaligen Mathelehrer zu hören bekam. Wenige Tage nach der Abitur-Feier stand ich ein letztes Mal im Foyer meines Gymnasiums und wartete auf ein paar Freunde, von denen ich mich verabschieden wollte. Wenige Stunden später sollte es für einige Zeit ins Ausland gehen. Beim Warten lief mir mein damaliger Mathelehrer über den Weg – ausgerechnet. Die Bauchschmerzen vor den Mathestunden haben mich durch meine ganze Schulzeit begleitet. Und dann dieser Satz. Obwohl ich mit besagtem Lehrer nie über meine Zukunftspläne gesprochen hatte, ging er automatisch davon aus, ich würde die Geisteswissenschaften vorziehen – ganz bestimmt kein BWL oder ähnliches studieren. Damals habe ich über diesen Kommentar unsicher gelächelt. Heute werde ich wütend. Warum? Weil dieser Satz eine Wertung beinhaltet, die mein Berufsleben lange geprägt hat. Leider. Denn das, was dahinter steckt ist eigentlich die Aussage: “Mädchen, wir wissen ja, dass Du in den kreativen Fächern und Berufen besser aufgehoben bist, Rechnen war ja nicht so Deine Stärke.” Gut, vielleicht zu viel Sarkasmus – aber dennoch: Hier wurde aufgrund von Leistungen in einem bestimmten vorgegebenen Bereich auf die Fähigkeiten geschlossen. Leider habe ich dieser Bewertung damals geglaubt. Und leider liegt diese Bewertung heute noch oft der Bewerberauswahl zuGrunde. Wie viele geeignete Kandidaten so bereits aussortiert wurden, möchte ich nicht wissen.

Was hat das nun allerdings mit Employer Branding zu tun? Ist das nicht eher ein Sourcing bzw. Recruiting Thema?

Hire for attitude, train for skills – wenn, dann richtig!

Als ich vor einigen Jahren meine erste “richtige Vollzeitstelle” angetreten bin, hatte ich eigentlich noch gar nicht die richtigen Qualifikationen dafür. Ich wurde aber eingestellt, und zwar weil meine damalige Vorgesetzte – wie sie mir später erzählte – etwas in mir erkannt hat, das mehr wog als Qualifikationen: Mindset. “Ich habe damals schon erkannt, dass Du das richtige Mindset für den Job hast – den Rest hast Du ja dann gelernt.” Diese Worte werde ich nie vergessen. Sie sind ungefähr das deutsche Äquivalent zu dem aktuell viel zitierten Spruch “Hire for  attitude, train for skills!”. Aber Worte alleine reichen – wie so oft – erst recht im Employer Branding nicht. Stellt man gute Kandidaten aufgrund ihres Mindsets ein und lässt ihnen Freiraum, muss man als Arbeitgeber und auch als Vorgesetzter Kontrolle abgeben. Und das funktioniert leider bisher noch viel zu selten. Im Unternehmen angekommen, sieht sich der Kandidat dann wieder den vordefinierten Regelwerken gegenüber. Diese da lauten – unter anderem:

  • “Mehr Gehalt? Ne, das gibt es erst ab der nächsten Hierarchiestufe!”
  • “Team-Leitung? Nein, dafür braucht man einen Master-Abschluss!”
  • “Du willst dich intern bewerben? Die Stelle braucht aber mindestens 5 Jahre gesammelte Berufserfahrung.”

Macht man diese Erfahrung einmal – und das kann ich aus Erfahrung selbst sagen – ist man schneller wieder auf der Suche nach einem anderen Arbeitgeber, als die Stelle neu besetzt werden kann. Und das ist für beide Seiten schade – denn schließlich wird in jedes gute Onboarding Zeit und Geld gesteckt.

Warum die Bewerberauswahl auch Employer Branding ist

Darum, liebe Arbeitgeber, die ihr euch allesamt “Menschlichkeit. Persönlichkeit. Nähe. Miteinander.” etc. in die Unternehmenswerte schreibt – auch das sind nur Worte. Ein Arbeitgeber, der diese Worte zum Leben erweckt und bei der Bewerberauswahl nicht nur auf den geradlinigen Lebenslauf, sondern auch auf die Persönlichkeit dahinter schaut, profitiert mit Sicherheit auch von einer sehr lebendigen Arbeitgebermarke. 

Denn die ehemalige Abiturientin, die von ihrem Mathelehrer einst gesagt bekam, dass Zahlen nichts für sie sind – und die dann einen Arbeitgeber findet,  der ihr auch die Arbeit mit den Zahlen zutraut, wird diese Erfahrung mit Sicherheit nach außen tragen. Und damit sind wir dann schon beim Thema “Mitarbeiter als Markenbotschafter” angekommen.

In diesem Zusammenhang hatte ich mir vorgenommen, den Begriff “Fachkräftemangel” nicht zu erwähnen – aber dennoch spielt dieser eine Rolle. Denn es wird in Zukunft immer schwieriger werden, Kandidaten alleine nach dem passenden Schema F im Lebenslauf ein zu stellen. Gerade die Coronakrise hat uns gezeigt, dass Arbeit sich verändern wird. Und noch weiter: Unternehmen werden sich verändern, Prozesse neu gedacht und neu erfunden werden müssen.  Und dafür braucht es Köpfe, die out-of-the-box denken können.

Wenn Du Dir also heute schon Deinen Recruiting-Prozess anschaust und versuchst, Deine Bewerberauswahl etwas “menschenfreundlicher” zu gestalten – wird sich  das in Zukunft auszahlen, versprochen. 😉

Mit den Gedanken dazu sind wir übrigens schon lange nicht mehr alleine – zumindest auf LinkedIn wird darüber derzeit viel diskutiert.

 Um dir den Lesefluss zu erleichtern, haben wir nur die männliche Form gewählt. Dies ist nicht geschlechtsspezifisch gemeint, sondern geschah ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit

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